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Was das Besondere an der Forschung von Tilly Edinger war
Die Erforschung von Wirbeltier-Gehirnen war das Fachgebiet der Wissenschaftlerin Tilly Edinger. Sie untersuchte Fossilien, die Millionen von Jahren alt waren. Dabei verglich sie unterschiedliche Gehirne von der Fledermaus bis zum Saurier oder auch Gehirne innerhalb einer Tierart. So konnte sie nachvollziehen, wie sich Gehirne entwickeln und verändern, ebenso konnte sie Ähnlichkeiten und Unterschiede zu heute lebenden Tieren feststellen. Durch diese Vergleiche zog Edinger Rückschlüsse, wann sich welche Fähigkeiten, auch längst ausgestorbener Tierarten, ausgebildet haben.
Besonders wichtige Forschungen waren ihre Arbeit „Über Nothosaurus“; eine ausgestorbene Flossenechse (1921) und über „The Evolution of the Horse Brain“ (Die Evolution des Pferdegehirns), die sie 1948 in den USA veröffentlichte. Dorthin musste sie als Jüdin vor den deutschen Nationalsozialisten fliehen.
Tilly Edinger machte ihr Fachgebiet, Paläo-Neurologie genannt, zu einem eigenständigen Wissenschaftsbereich. Ihre Forschungen gelten als wichtiger Beitrag zu einem modernen Verständnis von Evolution, also der Lehre von der Entwicklung und Veränderung von Lebewesen. Wenn sich Paläontologen heute mit Wirbeltieren vergangener Erdzeitalter beschäftigen, dienen ihnen die Erkenntnisse von Tilly Edinger immer noch als Grundlage.
Wie das Leben von Tilly Edinger verlief
Johanna Gabriele Ottilie Edinger, genannt Tilly, wurde am 13. November 1897 in Frankfurt geboren. Ihre Mutter, Anna Edinger, kämpfte für Frauenrechte und Frieden sowie gegen Armut und Ausbeutung. Durch ihre Aktivität entstanden mehrere soziale Einrichtungen.
Tillys Vater, Ludwig Edinger, war Nervenarzt und Hirnforscher. Als einer der Gründer der Frankfurter Universität arbeitete er dort als Professor für Neurologie. Tilly, ihr älterer Bruder und ihre ältere Schwester wuchsen in einer gebildeten, engagierten und wohlhabenden Familie auf.
Tilly hatte bis zum Alter von zwölf Jahren Privatunterricht, kam dann in die Frankfurter Schillerschule, ein Mädchengymnasium, und machte dort 1916 das Abitur. Danach studierte sie an den Universitäten Heidelberg, Frankfurt und München „Naturwissenschaften“: erst Geologie, danach Zoologie und zusätzlich Paläontologie. 1921 schrieb sie ihre Doktorarbeit über das fossile Gehirn des Nothosaurus, eines Sauriers, der vor mehr als 200 Millionen Jahren gelebt hatte.
Tilly Edinger war die erste Frau in Deutschland, die im Fach Paläontologie den Doktortitel bekam und blieb über viele Jahre auch die einzige in dieser Männerwelt. Bis 1938 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Senckenbergischen Naturhistorischen Museum und forschte dort an Wirbeltier-Fossilien. Sie bekam kein Geld für ihre Tätigkeit, blieb unverheiratet und lebte zunächst bei der Mutter, die Tilly Edingers Arbeit als „Hobby“ bezeichnete. 1931 bis 1933 war sie auch Assistentin am Neurologischen Institut der Goethe Universität, das heute nach ihrem Vater benannt, Edinger-Institut heißt.
Im Wissenschaftsbetrieb hatte Edinger als unverheiratete, schwerhörige Frau kaum Chancen, eine Stelle als Professorin zu bekommen. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft im Jahr 1933 gab es darauf überhaupt keine Hoffnung mehr, als Jüdin befand sie sich sogar in Lebensgefahr. Diese unterschätzte Tilly Edinger lange Zeit auch deshalb, weil ihr Arbeitgeber, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, die jüdischen Mitarbeiter*innen weiterarbeiten ließ. Erst nach den Novemberpogromen von 1938 durfte sie das Museum nicht mehr betreten. Sie schaffte es noch, nach London zu fliehen und als Übersetzerin etwas Geld zu verdienen. Bisher hatte sie nie finanzielle Sorgen gehabt, nun musste sie für lange Zeit mit sehr wenig auskommen. Nach zwei Jahren durfte Edinger in die USA ausreisen.
Dort konnte sie an der Harvard-Universität weiter wissenschaftlich in ihrem Spezialgebiet arbeiten. Eine angemessene Anstellung, die ihren Fähigkeiten und Forschungsleistungen entsprach, bekam sie auch hier nicht. Trotzdem blieb sie an der Universität in Cambridge im „Museum for Comparative Zoology”. Denn hier bekam sie wenigstens die Anerkennung ihrer Fachkollegen und wurde später zur Präsidentin der „Amerikanischen Gesellschaft für Wirbeltierpaläontologie“ gewählt. 1948 erschien ihr Buch, „The Evolution of the Horse Brain“, das die Entwicklung des Gehirns von Pferden beschreibt. Es gilt als Meilenstein in der modernen Evolutionstheorie.
Tilly Edinger hatte furchtbare Erfahrungen mit Deutschland gemacht: Sie war in die Flucht getrieben und einige ihrer Verwandten waren ermordet worden. Trotzdem setzte sie sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dafür ein, dass deutsche Kollegen wieder in die internationale Wissenschafts-Gemeinschaft, zum Beispiel die „Society of Vertebrate Paleontology“, aufgenommen wurden.
1950 kam sie auch zum ersten Mal wieder nach Frankfurt. Sie sagte: „Aber das war so grauenvoll, (...). Und es war alles so in Ruinen, dass ich nicht wusste, wo ich bin.“ Bei späteren Aufenthalten versuchte sie, Frankfurt nicht als Frankfurterin, sondern als Fremde zu sehen; vielleicht auch deshalb, weil sie bis in die 1960er Jahre hart dafür kämpfen musste, wenigstens einen Teil des Vermögens ihrer Eltern zurückzubekommen.
1967 wurde Tilly Edinger auf der Straße vor ihrem Arbeitsplatz im Harvard-Museum von einem Auto überfahren und starb am nächsten Tag, dem 27. Mai 1967. Ihre Asche wurde im Grab der Eltern auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beigesetzt.
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